Mein persönlicher Kommentar zu den Berufssprachkursen und ihren Prüfungen:
Die Zusatzqualifikation für die Lehrkräfte für Berufssprachkurse
Für viel Verärgerung unter den Lehrkräften hat die verpflichtende Zusatzqualifikation gesorgt. Da fast alle Lehrkräfte prekär beschäftigt sind (kein Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, kein Urlaubsgeld...) stand die verpflichtende Teilnahme von Anfang an unter keinem guten Stern. Für die Lehrkräfte bedeutet eine Weiterbildung über mehrere Wochen einen kompletten Verdienstausfall in dieser Zeit. Die Qualifikation war dann noch mit theoretischen Inhalten total überfrachtet und als Abschlussarbeit musste eine Selbstreflexion (Vorgabe: über 20 Seiten) geschrieben werden. Die meisten der Teilnehmenden hatten nicht den Eindruck, dass sie die Zeit des Verdienstausfalls wenigstens sinnvoll verbracht hatten - davon zeugen zahlreiche Kommentare auf der Seite des Bündnisses für DaF/DaZ-Lehrkräfte.
Der Fokus auf den Beruf
Nur nicht nach dem gesellschaftlichen Sinn einer Tätigkeit fragen, Hauptsache alle arbeiten... Machen speziell auf den Beruf fokussierte Sprachkurse Sinn?
Der Fokus liegt auf dem Beruf, der für die meisten Teilnehmenden gar keine Wirklichkeit ist (2022: 88,7%). Die meisten lernen also etwas, das sie vielleicht irgendwann einmal anwenden können, das aber keinen Bezug zu ihrer aktuellen Situation hat. Dementsprechend bleibt das Gelernte abstrakt.
Dass alles irgendwie mit dem Thema "Beruf" zu tun haben muss, zeigt sich auch in den Lehrwerken. Ein Beispiel dafür ist das Lehrwerk "Linie 1 Beruf B2". Lautete das erste Kapitel in der ursprünglichen Version noch "Rund ums Wohnen", wurde das in der aktualisierten Ausgabe angepasst zu "Hier arbeite ich". Ob das auf vorauseilenden Gehorsam oder eine Beanstandung des BAMF zurückzuführen ist, kann ich nicht beurteilen. Aber dieser fast ausschließliche Fokus auf den Beruf entspricht nicht den Bedürfnissen der Teilnehmenden, die zunächst ihren Alltag regeln müssen (Wohnen, Kinderbetreuung...), damit sie überhaupt einen Beruf ausüben können.
Obwohl die meisten Teilnehmenden nicht berufstätig sind, sind insbesondere Teile der Prüfung "Sprechen" so konstruiert, als übten die Teilnehmenden bereits einen Beruf aus oder hätten jedenfalls ausreichend Berufserfahrung. Das bedeutet, dass alle zumindest so tun müssen als hätten sie einen Beruf oder einen klaren Berufswunsch. Manche Teilnehmende scheitern eher an diesen schauspielerischen Anforderungen und nicht an den Sprachanforderungen. Das gilt für die unteren Niveaus mehr als für die oberen.
Zudem "zählen" vor allem gehobenere Berufe, in denen beispielsweise Erwerbstätige Präsentationen halten. Das ist für die Kurse auf A2- und B1-Niveau besonders wirklichkeitsfremd. Auf diesem Niveau haben viele Teilnehmende bescheidene Wünsche wie Reinigungskraft oder Küchenhilfe und bräuchten dafür ganz andere Sprachfertigkeiten als das Halten von Präsentationen, wie im Teil Sprechen verlangt.
Distraktoren im Test Lesen und Hören
Distraktoren sind eigentlich nur falsche Antwortoptionen in Multiple-Choice-Tests. In Sprachprüfungen wie nach den Integrationskursen und auch den Berufssprachkursen werden solche Distraktoren aber bewusst als "Fallen" konstruiert, etwa indem Schlüsselwörter übernommen werden, aber die Antwort sich in einem winzigen Detail von einer wahren Aussage unterscheidet.
Natürlich entstehen auch in der Wirklichkeit gelegentlich Missverständnisse, aber beim DTB entsteht der Eindruck, als bestünde die ganze Welt daraus. Gutgläubige Teilnehmende fallen regelmäßig auf solche Distraktoren herein. Das wäre bei Muttersprachler*innen wohl auch der Fall. Mit diesem Übergewicht an richtig erscheinenden Distraktoren wird jedenfalls weniger das Sprachverständnis geprüft als vielmehr eine bestimmte Prüfungsfähigkeit, die manche Teilnehmende mühsam in der Prüfungsvorbereitung erwerben müssen - statt ihre Sprachfähigkeiten zu verbessern.
Die Situation ist so absurd, dass der Tipp "wenn ihr die gleichen Schlüsselwörter hört oder lest, ist die Antwort falsch" für den DTB sehr erfolgversprechend ist.
Korrektur der Prüfungen und deren Transparenz
Dass die Prüfungsinstitutionen die Möglichkeit, gegen die Ergebnisse Einspruch zu erheben, beschränken, kann ich verstehen. Das Problem ist, dass für viele Teilnehmende sehr viel von ihrem Zertifikat abhängt, sei es ihr Aufenthalt, die berufliche Anerkennung oder die Möglichkeit einer Ausbildung. Und Sprachprüfungen lassen sich nicht einfach wiederholen. Nur, wenn das Ergebnis minimal von der erforderlichen Punktzahl abweicht, gibt es diese Möglichkeit. Dementsprechend wäre der Andrang, die Prüfung neu bewerten zu lassen, vermutlich groß.
Die Bereiche Lesen und Hören werden automatisch ausgewertet, für den Bereich Sprechen gibt es praktisch das Vier-Augen-Prinzip (zwei Prüfende). Wie die Schreibleistungen bewertet werden, bleibt allerdings im Dunkeln. Die Kriterien lassen einen gewissen Spielraum. Das ist ausgerechnet der Prüfungsteil, der die hohen Durchfallquoten verursacht.
Meine persönliche Erfahrung ist, dass die unterschiedliche Punktvergabe sich mit diesem Spielraum nicht immer erklären lässt. Natürlich ist das ein subjektiver Eindruck; ich kann die Prüfungen nicht einsehen. Aber meine Erfahrung ist, dass Teilnehmende, die regelmäßig weit über dem erforderten Niveau schreiben, miserabel bewertet wurden. Das könnte auch ein Blackout oder eine falsch verstandene Aufgabe erklären, aber wenn das bei allen sehr guten Teilnehmenden auftritt, scheint es geheime Schreibkriterien zu geben, die außer den Korrektor*innen niemand kennt.
Die mangelnde Transparenz ist verständlich, aber sie führt dazu, dass mutmaßlich vorliegende Probleme nicht behoben werden können.
Was wird geprüft?
Immerhin: Wir haben keine formalen Grammatikprüfungen mehr, wie (früher) in der Schule. Die Sprachtests rücken näher an die Wirklichkeit. Mit dem Teil Sprechen 2 des DTB liegt auf allen Niveaus meines Wissens zum ersten Mal ein Prüfungsteil vor, bei dem tatsächlich vor allem die Sprachfähigkeit geprüft wird und bei dem die Teilnehmenden nicht explizit auf das Prüfungsformat und seine besonderen Fallstricke (siehe Distraktoren) vorbereitet werden müssen. Aber das ist die Ausnahme.
Wenn ich probeweise selbst Tests aus dem Bereich Lesen oder Hören mache, merke ich, wie sehr ich mich konzentrieren muss. Und mir unterlaufen Fehler in der Prüfung, selbst auf dem Niveau A2. Das verwundert, da ich offiziell bis zum Niveau C2 unterrichten darf, also mein Niveau offenbar mit C3 eingestuft wird. Ich wüsste gerne, wie unvorbereitete Muttersprachler*innen bei diesen Test abschnitten. Ich nehme an, dass viele, die problemlos in Alltag und Beruf zurechtkommen, schon am A2- oder B1-Test scheitern würden. Meiner Erfahrung nach fallen einige durch die Prüfung, die eigentlich die erforderliche Sprachkompetenz haben, aber keine ausreichende Prüfungskompetenz.